FEDERAL TALK

THE FEDERAL TALK ist ein politisches Forum zur CH-Politik von heute und morgen. Gastbeiträge sind erwünscht und Teil des Konzeptes.

Montag, Juli 31, 2006

Wie schreibe ich eine 1.-August-Rede?

Von Sandra Lo Curto, Inhaberin von SLC Media & Public Relations, Biel

Vorbei die Zeiten, wo eine Bundesratsrede am schweizerischen Nationalfeiertag so ehrfürchtig empfangen wurde, wie einst Moses die legendären Zehn Gebote em­pfangen haben muss... In den letzten Jahren kamen Bundesräte am 1. August unter offenem Himmel weniger zu Wort als ultralinke Parlamentarier unter der Bundeshaus­kuppel! Und da Politikerreden immer öfter nach altem Kaffee schmeckten, versuchen sich zunehmend auch andere Gesellen in der uns eigenen Gattung der 1.-August-Rede: inspirierte Geistliche, geltungssüchtige CEOs irgendwelcher Unternehmen, selbsternannte Poeten und Philosophen, urchige Jodelköniginnen, moderne Künst­lerinnen... und seit diesem Jahr auch solche, die nicht einmal stimmberechtigt sind. Nein, nicht von papierlosen, halbkriminellen Ausländern ist hier die Rede, sondern von zwei Teenagern, die in Oberwinterthur ihre erste politische Rede halten werden. Und obwohl diese eher zur „anständigen“ als zur „dauerkiffenden“ Jugendgruppe gehören, hat der „Landbote“ laut aufgeschrien: «Ende einer Tradition!»

Ende einer Tradition? Das darf doch nicht sein! Gerade in diesem besonderen Jahr, wo das Schweizervolk aus vereinter Kehle die Nati angefeuert hat, für einen Moment an ein zweites „Wunder von Bern“ glaubte und bereits Fahnen schwingend durch Stadt und Land fuhr, wo die Hypozinsen tief und die Wirtschaftsaussichten besser sind, sollte der 1. August diese positive Stimmung festigen helfen. Mit patriotischen Worten, die einen mehr berühren als die Nationalhymne... So wie damals die Rede eines gewissen Ruedi Minger, welcher 1942 die Bevölkerung in währschaftem Bärndütsch aufforderte, neben Bauernstand und Schweizer Armee gegen den unsichtbaren Feind an der Grenze, den Hunger, anzutreten – und das 1.-August-Märkeli zu kaufen! Nur eine Generation später klagen wir auf hohem Niveau gemessen an den Kaprio­len, die Einwohner anderer Länder zum Überleben machen müssen!

Seien wir also dankbar für alles, was wir Schweizerinnen und Schweizer bereits em­pfangen konnten: die Sozialwerke (auch wenn sie nun wieder abbröckeln), die Bildung (auch wenn von PISA in Zweifel gezogen), den Fortschritt (auch wenn Spe­zialisten zunehmend auswandern), die hohen Löhne (auch wenn sie nun seit einem Jahrzehnt stagnieren). Katastrophen-Schlagzeilen haben wir täglich in „10vor10“ und „Blick“. Nutzen wir also den Nationalfeiertag, um positive Botschaften abzugeben, die sich dann in die Arbeitsmoral umschlagen, um ein „vereintes Volk“ statt Differen­zen zu zelebrieren! Erinnern wir an Werte, die uns vertraut sind: den Föderalismus (oder das Seilziehen zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden), den Solidaritäts­gedanken (aber bitte nicht mit Alzheimern, Saisonniers oder den empfindlichen Romands), die Bodenhaf­tung (trotz Swissair-Geschichten), die Seriosität...

Ach ja, ich wollte Ihnen verraten, wie man eine 1.-August-Rede schreibt. Es ist denk­bar einfach: vier Abschnitte lang (zumindest in der schriftlichen Version, damit es noch blogfähig bleibt); rück- und vorwärtsblickend, mit kritischem Unterton, aber mit positiver Ausrichtung; gespickt mit Wörtern wie „Solidarität“, „Föderalismus“, „Volk“, um das WIR-Gefühl aufkommen zu lassen; nahe an den Bürgersorgen, aber nicht populistisch; und gleich wie düster gewisse Textpassagen sein mögen, schliessen Sie bitte mit einem Regenbogen voller Hoffnung ab! Schliesslich ist es beim Nationalfeier­tag wie beim Geburtstag: Man will nicht daran erinnert werden, wie alt, eingerostet und zerbrechlich man geworden ist!